Aus guten Gründen & Rückenwinden







Initial-Wort

M

ein Herz, erinnerst du dich an unseren ersten gemeinsamen Sommer und unsere Zeit in der Liselotte, bei geöffnetem Fenster? War der Himmel bedeckt, konnten wir nie sagen, ob das Rauschen in den Blättern der Wind, oder der Regen war. Damals begegneten wir dem Wort Rauschen und daraufhin 
Schauer und Ursache, durch die Umstellung der Buchstaben. Dieses Anagramm¹ (dieses Lettern-Tryptichon) hat mich stark in seinen Bann gezogen. Angetrieben von der Suche nach einer inneren Beziehung dieser Begriffe, machte ich mich auf eine umfangreiche semantische und grafische Forschungs-Reise. Auf dieser Unter-Seite möchte ich meine Schritte und Gedanken anschaulich reflektieren.









Beim Lesen dieser drei Worte blüht ein Lächeln auf meinem Gesicht. Ein Sprudeln breitet sich zwischen den Faszien² aus, schnürt mir den Atem – ich bin wie ergriffen. Derart verinnerlicht habe ich diese Worte, dass, immer wenn ich sie lese, Erinnerungen in mir anklingen; deine Stimme hörend, dein Gesicht vor Augen, deine Lippen berührend und zarte Nähe empfindend. Wie im Rausch bin ich. Und das ohne einen einzigen Tropfen. Dank dir, mein Herz 


ans Uns












Kapitel I

vor-sich-ti-ge
Schritte





Manche dieser Buchstaben-Formen (s. Bilder 1 – 3) erinnern mich an gebrochene Schriften, z.B. die Schwabacher (Bild 4), die für meine Augen ein fast unentzifferbares Wirrwarr aus Schlingen und Schlaufen darstellt. Rückblickend erkenne ich, dass meine eigenen ersten Entwürfe von Begriffen wie „schwingen“ und „fließen“ und „strömen“ durchzogen sind. Ich muss feststellen, dass ich mich bereits von Anfang an in einer ganz eigenen Schwingung befand, was sich ab der Skizze Nr. 1 abzeichnet. Wenn ich ganz genau schaue, kann ich hier und da sogar schon Details der späteren Arbeiten erkennen, wo ich mich mehr auf das Ganze, als noch auf das Einzelne konzentriere.


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Bilder 1 – 3
Aufwärm-Übungen
zahlreiche Skizzenblätter als eine Art
„Schautafeln“ zusammengestellt
im Original je 21 × 29,7 cm
Juli – August, 2024


Bild 4
Schwabacher Schrift

︎︎︎ Wikipedia-Artikel









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Bild 5
Beobachtungen im Kleinen


Manuskript (oben)
und Typoskript (rechts)

September, 2024


Der Schriftzug „Rausche“ hat sich bereits deutlich verändert. Die Wahrnehmung einzelner Buchstaben tritt beim Betrachten in den Hintergrund. Stattdessen ist ein Netzwerk spürbar – als Ganzes – und wird zum ersten Augen-Blick.

                     



                      Das war hier gerade wirklich spannend !
                      Es gab beim Zeichnen nicht nur einen
                      spürbaren Fluss in der Hand, der bei
                      jedem Zeichen in einem selbstverständlichen
                      Aus-Schwung endete, sondern gesellte
                      sich dadurch auch ein Ton dazu, der mich
                      an das Schließen der Hi-Hat erinnerte.
                      Außerdem: alles ist etwas länger geraten,



            schwingt länger, klingt auch visuell besser,
            was man auch in den Zwischenräumen,
            im Weiß des Hintergrunds, sehr gut sehen
            kann, finde ich. Federleicht, sich ausbreitend,
            all die langen Arme, oder Fühler, und
            nicht so dicht aufeinander hockend,
            wo kein kein Lichtstrahl es hindurch schafft.












 

Kapitel II

aus einem Fluss





Im September, nachdem ich über hundert Entwürfe zu Rausche, Schauer und Ursache mit dem Parallel Pen in schwarz gezeichnet hatte, wollte ich einen neuen Stift ausprobieren. Mittlerweile zeichnete ich die Buchstaben, nicht mehr nebeneinander, von links nach rechts (unserer Lese-Gewohnehit entsprechend) sondern suchte eher nach einem Schrift-Bild, ohne klar-definierte Lese-Richtung. Durch eine deutlich breitere und fettere Keil-Spitze entstand eine starke kalligrafische Wirkung. Immer mehr verdichtete ich die Striche, die sich zu sehr bewegten Schwüngen wandelten. Blatt für Blatt suchte ich förmlich nach einem Fluss, dem die Wörter zu entspringen schienen.




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Bild 8
weiß auf schwarz

Kreidemarker auf schwarzem Karton
September, 2024














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Bild 6
Zeichnen wie im Rausch

Entwürfe auf Kraft-Papier
je 35 × 50 cm
2024





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Bild 7
in Bewegung versetzt
die Einzelentwürfe auf Kraft-Papier
wirken im GIF wie eine Typo-Animation
2024

wie Fähnchen im Wind
wie Arme, die winken
wie Äste, die wachsen








   













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Bild 9
um-verteilt

zerschnittene Einzel-Entwürfe
von „Schauer“ & „Rausche“
(je 4,5 × 4,5 cm) zu einem
neuen Ganzen komponiert

September, 2024









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Bild 10
„hærfest“

Komposition auf Leichtschaumplatte
Unikat, 50 × 50 cm
2024





Kapitel III

Etymologie
als Grundierung




Während meiner Arbeit umgab mich zunehmend der Herbst.
Ich interessierte mich für das Wort Herbst. Nachfolgend ein kleiner Auszug aus dem DWDS (Digitales Wörtebuch der deutschen Sprache). Es beschreibt die ‘Jahreszeit zwischen Sommer und Winter, Zeit der Ernte, des Welkens, Absterbens’
Im Verlauf des umfangreichen Artikels begegnete ich mehreren Verzweigungen, die nicht zur direkten Wort-Herkunft gehörten, bzw. die in der erweiterten Umgebung des Begriffes Herbst Erwähnung fanden: Dolch, Schale, Topf, Frucht, Abgeschnittenes, Abgepflücktes, Sichel, rupfen, abtrennenm, schneiden, scheren, schöpfen

Diese jahrhunderte-lange semantische Verästelung passte inhaltlich zu einer eigenständigen Arbeit, die sich aus zerschnittenen Entwürfen für die Schriftzüge Rausche und Schauer ergeben hatte und an der ich zu jener Zeit arbeitete. Für den Titel wählte ich das schöne Wort hærfest ³
Mit der æ-Ligatur hat es den visuellen Geschmack des Historisch-Mystischen, finde ich. Die Endung fest ist zugleich feierlich und rituell.













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Bild 11
echo-ähnlich

scheinbar aus der Tiefe aufsteigend;
Einzel-Entwürfe auf Transparentpapier,
übereinander gelegt und eingescannt

ca. 7 Stück 
im Original, je 21 × 29,7 cm
2025









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Bild 12
Glyphentanz

Das Nebeneinander
begegnet zum ersten Mal
dem Untereinander

ca. 17 × 24 cm
März, 2025






Kapitel IV

viele Strömungen
einer Quelle entspringend





Ein Geflecht aus Verbindungen und Übergängen, sich bedingend, aufeinander beziehend, zusammen-wachsend, rückkoppelnd, versichernd und haltgebend. Sich reflektierende, ineinander zurückfallende, handreichende (Buchstaben-)Teile, stromlinienförmig, organisch und scheinbar gleichzeitig nach allen Richtungen verlaufend

In dieser typo-grafischen Gestaltung bilden sich Zeichen-Ketten, ergeben sich Reihen-Folgen, erwächst eines aus dem anderen, verästeln sich drei Worte, deren Verbindungen sich nicht nur grafisch, sondern auch inhaltlich kreuzen.










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Bild 13
Screenshot

Per Email: eine Erinnerung,
eine Bezugnahme und
eine Liebeserklärung in einem

Juli, 2025










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Bild 14

weiß auf schwarz auf weiß

Leporello aus Pappe und Zeichenkarton
Juli, 2025



Kapitel V

verselbständigte
Atmung





Zwischen Sommer 2024 und Herbst 2025 nutzte ich für meine Entwürfe sehr unterschiedliche Materialien, darunter Pappe, Karton, Transparent-, Kopier-, Kraft-, Mal- und Stein-Papiere. Immer wieder konfrontierte ich mich absichtlich mit „grafischen Problemen“ (wie ich das nenne), also das Umsetzen von Themen wie Überlagerungen, oder Gleichzeitigeit. Es war aufregend, diesen Fragestellungen, Blatt für Blatt, neu zu begegnen und mich und meine Hand zu befragen, was möglich ist. Eine Auswahl der interessantesten Entwürfe (meinem Gefühl nach) habe ich nachfolgend versammelt.











„Rausche“, Entwürfe, jeweils ca. 13 × 21 cm, Strichstärken: 6 mm,  2024


„Schauer“, Papiertüte, 32 × 42 cm, Strichstärke: 6 mm, 2024




„Rausche“, ca. 10 × 20 cm, Strichstärken: ca. 1 – 12 mm, 2024



„Schauer“, ca. 21 × 29 cm, Strichstärken: 1 – 6 mm, 2024




„Rausche / Schauer“, ca. 17 × 29 cm, Strichstärken: 12 – 15 mm, 2024

„hærfest“, 50 × 50 cm, Strichstärke: 12 mm, Komposition auf Leichtschaumplatte, 2024











„Rausche / Schauer / Ursache“, ca. 30 × 30 cm, Strichstärke: 6 mm, 2025






„Rausche / Schauer / Ursache“, transparente Entwürfe, je 21 × 30 cm, Strichstärke: 6 mm, 2025




„Rausche / Schauer / Ursache“, 50 × 70 cm, Strichstärke: 15 mm, Kraftpapier, 2025





„Rausche / Schauer / Ursache“, 10,5 × 14,8 cm, Strichstäke: 4 mm, 2025




„Rausche / Schauer / Ursache“, 14,8 × 21 cm, Strichstärken: 1 – 5 mm, 2025



„Rausche / Schauer / Ursache“, 47 × 97 cm, Strichstärken: 1 - 15 mm, 2025


„Rausche / Schauer / Ursache“, ca. 35 × 50 cm, Strichstärken: 5 mm, Kraftpapier, 2025
„Rausche / Schauer / Ursache“, ca. 29 × 45 cm, Strichstärken: 3 – 6 mm, 2025

„Rausche / Schauer / Ursache“, ca. 30 × 30 cm, Strichstärken: 8 – 15 mm, 2025











„Rausche / Schauer / Ursache“, 21 × 29,7 cm, Strichstärken: 3 – 6 mm, 2025
„Rausche & Schauer“, Entwurf als Leporello (Pappe & Karton), ca. 24 × 28 cm, 2025





















Fußnoten & Quellenangaben


1   Anagramm
– ‘durch Vertauschung der Buchstaben eines Wortes oder Satzes entstandenes neues Wort oder neuer Satz’ (Mitte 18. Jh., älter Anagramma, 1. Hälfte 17. Jh.), griech. anágramma (ἀνάγραμμα), zu anagráphein (ἀναγράφειν) ‘auf-, niederschreiben, aufzeichnen, eintragen in ein Register’, griech. gráphein (γράφειν) ‘schreiben’ …

Anagramm (DWDS)



2   Faszie – auch Fascie oder Fascia (Entlehnung au lateinisch fascia ‚Binde‘, ‚Band‘, ‚Bandage‘ ist eine Bezeichnung für flächige Strukturen aus Bindegewebe. Konventionell werden die bindegewebigen Hüllen eines Muskels bzw. einer Muskel-gruppe (alternativ: „Muskelbinden“) als „Faszie“ definiert

Faszien (Wikipedia)



3   hærfest – ‘Jahreszeit zwischen Sommer und Winter, Zeit der Ernte, des Welkens, Absterbens’, ahd. herbist (8. Jh.), mhd. herb(e)st ‘Herbst, Ernte’, asächs. herƀist, mnd. hervest, mnl. herfst, hervest, nl. herfst, aengl. hærfest (auch ‘Erntezeit’, vgl. engl. harvest ‘Ernte’)

Herbst (DWDS)







4   Liebste, findest du nicht auch, das diese Aufzählung unsere Beziehung gut beschreibt? In Liebe, H.






Rausche / Schauer / Ursache

diese Seite wurde zuletzt bearbeitet am 23. November 2025, um 10:04 Uhr
© Hagen Thiel

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Kritik und wachsame Augen sind willkommen

In Vorbereitung sind:

– ein Kapitel über die Etymologien der Worte Rausche, Schauer & Ursache